23. August 2007
Unternehmen kümmern sich zu wenig um gesundheitlich beeinträchtigte Mitarbeiter, sagt Dr. jur. Friedrich Mehrhoff, Leiter Rehabilitationsstrategien und -grundsätze bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Er plädiert für Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM), um den Missstand zu lösen - zum Nutzen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Was Unternehmen konkret tun können, erklärt er am 11. September ab 12.45 Uhr auf Europas Personalfachmesse Nummer eins, der Zukunft Personal in Köln.
Viele Arbeitnehmer fürchten bei längerer Krankheit um ihren Job. Chronisch kranke und ältere Mitarbeiter mit Beschwerden wagen deshalb oft nicht, sich ihrem Arbeitgeber anzuvertrauen. Diese Erfahrung macht Friedrich Mehrhoff immer wieder. Schuld an dieser Situation sind unter anderem die Unternehmen selbst: Sie versuchen häufig ihre kranken Mitarbeiter loszuwerden und schaden sich damit selbst: Verlorene Mitarbeiter – das bedeutet auch verlorenes Potenzial.
Dabei hat der Gesetzgeber schon längst auf die Umstände reagiert. Seit dem 1. Mai 2004 verpflichtet das Rehabilitationsrecht des Sozialgesetzbuches SGB IX Arbeitgeber dazu, eine betriebliche Eingliederungsstruktur aufzubauen. Auch in Deutschland hat sich dafür der Begriff „Disability Management“ etabliert: die Wiedereingliederung von gesundheitlich beeinträchtigten Menschen, die Gefahr laufen, arbeitslos zu werden. Das Ziel von Disability Management besteht darin, Jobs langfristig zu sichern. Fehlzeitenmanagement oder Rückkehrgespräche griffen zu kurz, so Mehrhoff, da sie schnell einen negativen Beigeschmack bei den Mitarbeitern erzeugten. Diese dürften keinesfalls das Gefühl haben, in den Job zurückgetrieben oder gekündigt zu werden.
Im Zweifelsfall beurteilen Arbeitgerichte, ob ein Unternehmen einen Arbeitnehmer kündigen darf. Grundlage der Entscheidung ist, ob dieses ein Betriebliches Eingliederungsmanagement besitzt. Hintergrund dafür: Das Bundesarbeitsgericht hatte im Rahmen des Kündigungsschutzrechtes am 2. Juli dieses Jahres eine höchst richterliche Entscheidung getroffen, indem es einen Fall an das Landesarbeitsgericht zurückwies. Dieses hatte nicht genügend geprüft, ob das kündigende Unternehmen ein ausreichendes Disability Management durchführte.
Von der Rechtssprechung betroffen sind Arbeitnehmer, die mindestens sechs Wochen im Jahr arbeitsunfähig sind. Doch um das Thema BEM aus der Ecke „Schwerbehindertenmaßnahme“ zu holen, sollte es mit betrieblichem Gesundheitsmanagement für alle Mitarbeiter gekoppelt werden, rät Mehrhoff. Denn wenn ein Unternehmen die Leistungsfähigkeit seiner Organisation tatsächlich fördern wolle, müsse es präventiv arbeiten. Es könnte zum Beispiel eine Rückenschule in die Mittagspause integrieren, Raucherentwöhnungsprogramme einführen oder die Anfahrt zum Arbeitsplatz mit dem Fahrrad initiieren.
Wenn Firmen damit beginnen ein BEM aufzubauen, sollten sie zunächst die Belegschaft darüber informieren, dass es ein Betriebliches Eingliederungsmanagement geplant ist, rät Mehrhoff. Viele Unternehmen treffen parallel dazu eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat, welche die Spielregeln festlegt. Darin geht es beispielsweise darum, wann und wie ein kranker Mitarbeiter angesprochen wird.
Aussschlaggebend für den Erfolg des Disability Managements ist Mehrhoff zufolge vor allem die Vertrauensbasis. Er empfiehlt, einzelne Personen zu Disability Manager auszubilden und ihnen diese Aufgabe zu übertragen. Eine der größten Schwierigkeiten besteht darin, kranke Menschen anzusprechen. Viele glauben, es gehe darum, ihre Krankheiten und damit einen Kündigungsgrund auszuspionieren. Disability Manager sollen dieses Misstrauen abbauen und dazu alle Beteiligten ins Boot holen: den Arbeitgeber, den Betriebsrat, die Vertreter des Gesundheitssystems und den Versicherten selbst. Außerdem müssen die Disability Manager Leistungen von außen einholen, zum Beispiel von Sozialversicherungsträgern. Dafür brauchen sie Expertenwissen in Rechtsfragen. All das lernen sie in einer Ausbildung, die auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung anbietet.
Eine entscheidende Rolle beim Disability Management nehmen die Sozialversicherungen ein. Während die Unternehmen selbst die BEM-Struktur aufbauen, liefern die Versicherungen die Informationen, welcher Rehaträger sich am besten um bestimmte Belange kümmert. Allerdings könnten Unternehmen beim Aufbau des BEM noch nicht so umfassend auf die Hilfe von Versicherungsträgern zurückgreifen, wie es nötig wäre, kritisiert Mehrhoff: „Die Firmen leiden oft darunter, dass viele Krankenkassen, die angefragt werden, zunächst unterstützen wollen. Wenn aber eine Krankenkasse ins Unternehmen kommt, bleiben die anderen weg.“ Außerdem habe die Rentenversicherung keinen richtigen Betriebsbezug und die Unfallversicherung sei nur für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zuständig. Als Aufsichtsbehörde müsse die Bundesregierung die Unternehmen mehr unterstützen, indem sie die Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger fordert. Auch die Bundesagentur für Arbeit habe beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement bisher nichts getan.
Was aber laut Mehrhoff nicht bedeutet, dass keinerlei BEM möglich ist. Immerhin sei das Thema im Hinblick auf die demografische Entwicklung brisant. Und Firmen könnten es sich nicht leisten, ihr Image zu schädigen: Propagiert etwa eine öffentliche Verwaltung eine gesunde Stadt, muss sie auch für gesunde Mitarbeiter sorgen.